„Mit Ausbruch der Pandemie ist das Gewaltpotenzial gestiegen“
Ein Gespräch mit Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbandes, zum Tag der Pressefreiheit
Am 3. Mai wird weltweit der Tag der Pressefreiheit begangen. Über Bedrohungen und Herausforderungen für den Journalismus sprach das Forum Deutscher Presseclubs aus diesem Anlass mit dem Vorsitzenden des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Mika Beuster.
Herr Beuster, was ist aus Sicht des DJV international die größte Bedrohung für die Pressefreiheit?
Wir beobachten, dass es vor allem autokratische Regime sind, die auf Journalistinnen und Journalisten Jagd machen. Sie nutzen die Unterdrückung von Recherche und Information, von freier Presse insgesamt, als Machtinstrument. Wir sehen auch, dass trotz Repressalien und Zensur im Untergrund vielfach weitergemacht wird. Das geschieht nur leider oft genug unter Lebensgefahr.
Es heißt, die Demokratie sei weltweit in der Defensive. Können Sie das am Beispiel der Meinungsfreiheit, die bedroht ist, nachvollziehen?
Ja, das können wir. Demokratische Gesellschaften brauchen informierte Bürger, die auf der Basis leicht verfügbarer Informationen ihre Entscheidungen treffen. Für Machthaber ist es ein einfacher Weg, dort anzusetzen, wo sie den Informationsfluss kontrollieren können.
Welche Länder sehen Sie als besonders gefährdet?
In der Türkei des Recep Tayyip Erdogan hat die Medienunterdrückung leider bereits eine traurige Tradition. Inwiefern es dort noch Chancen für die Demokratie gibt, das kann ich nicht voraussagen. Wir sehen, anders als zum Beispiel in China, immer noch Ansätze einer unabhängigen Berichterstattung. In China wird sogar das Internet blockiert oder kontrolliert, so dass es für die Zivilgesellschaft keine Möglichkeiten mehr gibt, sich zu entfalten.
Und wie sieht es national aus? Was sind da aus Ihrer Sicht die größten Bedrohungen?
Auch hier gibt es Fälle von staatlicher Einflussnahme gegen die Presse. In Mittelhessen hat die Polizei nach einem AfD-Parteitag gegen einen Kameramann ermittelt, der Besucher des Parteitags gefilmt hatte. Die Beamten suchten proaktiv nach Anzeigen, die gegen den Mann erstattet worden sein könnten. Dabei handelt es sich bei diesem möglichen Vergehen um ein Antragsdelikt und nicht um ein Offizialdelikt. Nur bei letzterem müssen Justiz und Polizei von sich aus aktiv werden. So werden durch staatliches Handeln, hier ist es übertriebener Ermittlungseifer, auch in Deutschland Journalisten eingeschüchtert.
Ist das die einzige Bedrohung, die Sie in Deutschland sehen?
Nein, insbesondere bei Demonstrationen, bei denen Rechtsextreme unterwegs sind, kommt es zu Übergriffen gegen Journalisten. Entweder werden sie eingeschüchtert oder direkt tätlich angegriffen. Bedrohungen im Internet gehören ebenfalls zu diesem Instrumentarium. Hass und Hetze ist Alltag für viele Kollegen. Mit Klage zu drohen, ist ein weiteres probates Mittel, unliebsame Berichterstattung zu behindern oder gar zu verhindern.
Reporter ohne Grenzen meldet mehr als 40 tätliche Angriffe auf Journalisten im Jahr 2023. Gegenüber dem Vorjahr sind das weniger, aber im Vergleich zur Zeit vor der Pandemie sind es deutlich mehr.
Das ist verheerend. Schlimm genug ist, wenn durch Trillerpfeifen oder durch das Bildlaufen bei Kameraaufzeichnungen unsere Arbeit behindert wird, aber mit der Anwendung von Gewalt ist eine rote Linie überschritten. Mit Ausbruch der Covid-19-Pandemie ist das Gewalt- und Empörungspotenzial in der Gesellschaft gestiegen. Das gilt ebenso für Gewalt gegen Einsatzkräfte der Polizei, der Feuerwehr, ja sogar gegen Sanitäter.
Was haben Sie dagegen unternommen?
Wir haben die Polizei aufgefordert, für besseren Schutz von Journalistinnen und Journalisten zu sorgen. Nicht nur am Rande von Demos, sondern auch anderswo. Meinungsfreiheit ist ein Grundrecht, das muss geschützt werden.
Es heißt, in manchen Regionen führten die Bedrohungen zu einer inneren Zensur besonders der Lokaljournalisten, wie sind da Ihre Erkenntnisse?
Das Wort „Zensur“ würde ich nicht benutzen. „Vorsicht“ wäre besser formuliert. Man macht sich mehr Gedanken, wenn man den Besuch einer Demonstration plant. Viele Medienhäuser nutzen dafür inzwischen einen Begleitschutz. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel Kameraleute von Sicherheitskräften begleitet werden. Da die Bedrohungen oft auf bestimmte Personen fokussiert sind, überlegen sich Kolleginnen und Kollegen häufiger, ob sie Artikel in der Zeitung mit ihrem Namen zeichnen sollen oder besser anonymisiert veröffentlichen.
In diesem Jahr wird in drei neuen Bundesländern gewählt. Die Alternative für Deutschland könnte in allen drei Parlamenten stärkste Kraft werden. Was bedeutet das für die Meinungsvielfalt und Pressefreiheit?
Die von Ihnen angesprochene politische Kraft hat als erklärtes Ziel verkündet, Pressefreiheit gezielt einzuschränken. Das gilt zum Beispiel für die Unterzeichnung der Rundfunkstaatsverträge, die in manchen Ländern nur mit einer Unterschrift des Ministerpräsidenten gekippt werden könnten. Hier sieht man eine Schwachstelle des Verfahrens in den Ländern. Aber ich glaube, dass der gesellschaftliche Rückhalt für das heutige Mediensystem so stark ist, dass solche Bestrebungen keine Chance auf Erfolg hätten. Dessen ungeachtet muss man wachsam bleiben und in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verweisen.
Wie sollte man in den Medien mit der AfD umgehen?
Ich sehe uns Journalistinnen und Journalisten in der Verantwortung gegenüber der Gesellschaft, die AfD als das zu benennen, was sie ist: eine in weiten Teilen rechtsextremistische Partei. Etwa im Lokaljournalismus über sie als eine „normale“ Kraft der Kommunalpolitik zu berichten, wäre falsch. Wir müssen schon den Finger in die braun schimmernde Wunde legen.
Hätten Sie von einem Fernsehduell zwischen dem Spitzenkandidaten der AfD und der CDU in Thüringen abgeraten?
Persönlich meine ich, dass das keine gute Entscheidung war. Der Versuch des Entzauberns hat nicht funktioniert. Wenn man solchen extremistischen Anschauungen eine Bühne bietet, entfacht man eher noch ein Feuer.
Das Jahr 2023 war geprägt durch eine intensive Diskussion über eine Reform des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Wo muss der ÖRR erneuert werden?
Gar keine Reform anzustreben, hielte ich für falsch. Es gibt enormen Bedarf an Veränderung bei der Struktur der Gremienarbeit und bei den dort zu beobachtenden Prozessen. Das dauert alles oft viel zu lang, bis es zu Entscheidungen kommt. Wir sehen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Redaktionen teils hervorragende Arbeit machen, aber auch durch viele bürokratische Verfahren ausgebremst werden.
Was möchten Sie nicht verändern?
Es darf keine Abstriche bei der Qualität geben. Das ist schließlich die Daseinsberechtigung des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks. Das heißt, es darf keine Abstriche bei der Personalbesetzung der Redaktionen geben. Die gewährleisten schließlich Qualität, Themenvielfalt und Expertentum.
Das EU-Parlament hat im März 2024 den AI Act (Artificial Intelligence Act) abgesegnet, also ein Gesetz zum Umgang mit Künstlicher Intelligenz. Die Mitgliedsländer müssen dem Gesetz noch zustimmen. Was empfehlen Sie der Bundesregierung?
Es bedarf wie bei jeder neuen Technologie Regeln, wie wir damit umgehen. Das ist wie beim Autoverkehr. Nur weil es Stoppschilder und Ampeln gibt, heißt das nicht, dass man gegen Autos ist. Ich begrüße diesen Versuch, mit Hilfe dieses, übrigens weltweit ersten Gesetzes dieser Technologie einen rechtlichen Rahmen zu geben.
Wo sehen Sie noch Bedarf zur Nachbesserung?
Unsere Sorge gilt dem Urheberrecht. Es wird vor allem durch amerikanische Plattformkonzerne verletzt. Das unterhöhlt wegen der ausbleibenden Finanzierung die Geschäftsmodelle der Privatmedien in Deutschland.
Ist der Weg des Springer-Verlages richtig, in direkten Verhandlungen mit den Betreibern von ChatGPT über eine Vergütung verwendeter Inhalte zu reden?
Die Idee dahinter halte ich für richtig. Alles Andere ist auf Seiten von ChatGPT Diebstahl geistigen Eigentums. Darunter leiden Journalisten und Journalistinnen, aber auch andere Autoren, praktisch jeder, der geistiges Eigentum in Schriftform herstellt. Sie alle werden bestohlen. Das Diebesgut geht in eine Blackbox im Silicon Valley. Dort werden Produkte damit bestückt, die an europäische Verbraucher verkauft werden. Ich muss also Hehlerware zurückkaufen, die ich selbst erfunden habe. Daher begrüßen wir jeden Vorstoß, diesem Übel abzuhelfen. Ich glaube, dass bilaterale Abkommen wenig hilfreich sind. Bei diesen Verhandlungen können europäische Unternehmen gegen die Giganten, die Umsätze eines mittleren Staates erzielen, nur verlieren. Ich wünsche mir eher gesetzliche Regelungen und dass sich diese Konzerne an die Regeln halten.
Sie haben zuletzt die Schließung von Druckereien kritisiert. Welche Chancen sehen Sie für die Zukunft des Printgeschäfts?
Auch wir sehen, dass der Printmarkt schrumpft, altersbedingt, also in dem Maße, wie auch die Bevölkerung in bestimmten Alterssegmenten an Zahl abnimmt. Neue Geschäftsmodelle sind erforderlich, aber schwierig. Nichtsdestotrotz bleibt Print für viele Verlage ein ökonomischer Pfeiler. Die Medienhäuser müssen also die digitale Transformation gestalten. Das müssen sie schaffen, ohne die teurer werdenden Printprodukte fallenzulassen, um die daran hängenden Kundenstämme zu halten. Das ist eine gigantische Herausforderung, denn wir brauchen Print, und wir brauchen Digital. Das bedeutet, dass jetzt nicht die Phase ist, große Gewinne abzuschöpfen, an die man sich aus der Zeit der Jahrtausendwende gewöhnt hatte. Sondern man muss in die Digitalisierung investieren und zugleich die Printproduktion modernisieren. Eigentlich hätte man das schon vor zehn Jahren tun müssen.
Sie sehen also noch eine Zukunft für das Printgeschäft?
Ich selbst bin ohnehin großer Printfan. Print wird immer eine Chance haben, vielleicht nicht mehr, wie es heute ist, mit einer täglichen Ausgabe. Womöglich wird es eher eine wöchentliche oder zweiwöchentliche Zeitung aus Papier geben. Magaziniger, hintergründiger, nicht mehr das Schnelle. Es gibt pfiffige Ideen und wir müssen aufpassen, dass wir die Fläche nicht verlieren.
Wie meinen Sie das?
Schauen wir mal in den Nordosten Deutschlands, wo es zum Teil keine Zustellung der Printprodukte mehr gibt und nur ein sehr schlechtes Internet. Drastisch ausgedrückt: Das Printprodukt wird eingestellt, die Oma bekommt ein Tablet in die Hand gedrückt, aber Internet und Wlan funktionieren nicht.
Welche Folgen hat das aus Ihrer Sicht?
Damit hängen wir Teile der Bevölkerung ab. Das kann nicht im Interesse der Medienhäuser sein.
Seit Jahren ist davon die Rede, dass der Bund die Zeitungsverlage bei der Bewältigung der digitalen Transformation finanziell unterstützen soll. Wie verhält sich der DJV dazu?
Für uns ist das ein wichtiges Thema, über das wir in Berlin – auch derzeit wieder – intensive Gespräche mit den Verantwortlichen führen. Sowohl mit Parteien in Regierungsverantwortung wie mit der Opposition reden wir über die Presseförderung. Die ist immerhin im Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition vereinbart.
Wie lauten Ihre Erkenntnisse?
Das Wirtschaftsministerium hat per Gutachten feststellen lassen, dass solch eine Förderung berechtigt ist, sieht aber für sich selbst keinen Handlungsbedarf. Der Ball wurde zur Bundesbeauftragten für Kultur und Medien gespielt. Da liegt er nun und hat reichlich an Luft verloren. Spätestens seit dem Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Haushalt ist allen am Kicken die Freude vergangen.
Wie reagieren Sie darauf?
Wir wissen alle, dass es gigantische wirtschaftliche Herausforderungen im Transformationsprozess gibt. Letzterer ist für manche Medienhäuser existenzbedrohend. Im Detail tun wir uns mit einer reinen Zustellförderung schwer. Was wir brauchen, ist eine Förderung des qualifizierten unabhängigen Journalismus. Und das ist etwas anderes als der von den Verlegern gewünschte Geldregen für alle aus der Gießkanne. Überall wo es keinen Journalismus mehr gibt, steigt die Korruption, steigen die öffentlichen Ausgaben, sinkt die Wahlbeteiligung. Journalismus, wie ihn die Medienhäuser betreiben, ist also eine gesellschaftliche Aufgabe. Daher muss es ein öffentliches Interesse geben.
Wie soll denn die Förderung aussehen?
Sie muss auf jeden Fall staatsfern sein. Wir haben Vorschläge gemacht, wie das möglich wäre. Dazu zählt das Luxemburger Modell, in dem basierend auf Qualitätskriterien gefördert wird. Es gibt also Wege, aber der politische Willen dazu muss da sein.
Auf Verlegerseite gibt es gegenüber einer Förderung inhaltlicher Belange große Bedenken, bei Ihnen nicht?
Das Modell in Luxemburg* ist streng an objektiv zu erhebende Kriterien geknüpft. Man arbeitet vor der Förderung einen Katalog an Fragen ab, die positiv beantwortet werden müssen. Die reine Förderung der Zustellung ist rechtlich nicht problemlos. Und das Gutachten, das ich erwähnte, enthält weitere Fingerzeige, wie man gefahrlos fördern könnte. Wir sehen auf Verlegerseite durchaus Bewegung in die eine oder andere Richtung. Unser Ziel ist, hier gemeinsam an einem Strang zu ziehen.